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Verfrühte Ansprüche auf Erleuchtung

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INTERVIEW MIT OM C. PARKIN

Andreas von Oertzen befragte OM C. Parkin zum „Forum Erleuchtung“, das im August 2013 in Berlin stattfand und zu dem tragischen Fall von Andrew Cohen.

Ich habe nie Interviews gemacht. Zu Beginn des Interviews mit OM war ich aufgeregt, und es war auch ein „normales“ Gefühl von „zwei Menschen sitzen hier auf einem Stuhl“. Mit den ersten Worten von OM änderte sich das. Das, was mit den Worten kam, war etwas sehr Großes. Es war wie eine transparente Wand, die von vorne und von oben auf mich zukam. Wie eine Wand aus Weite und Weisheit. Ich fühle mich sehr klein, aber nicht minderwertig. Auch wenn Anspannung in mir war, war es sehr still, es waren kaum Gedanken da. Das, was mit den Worten kam, griff in meine innere Struktur zu dem Thema, über das gesprochen wurde, ein. Es ergänzte, rückte zurecht, füllte aus, räumte weg. Ein paarmal war ein tiefes Durchatmen wegen des wohltuenden Gefühls dieses Ordnung-Schaffens. Am Ende des Dialogs war in mir alles gut, alles ruhig und große Dankbarkeit. Ein Interview mit OM führen zu dürfen, ist eine große Gnade.

Frage: Im August 2013 war ich auf einem Kongress in Berlin mit dem Namen „Forum Erleuchtung“. Dort wurden etwa 35 „Erwachte“ und „Lehrer“ eingeladen, um in einem Kreis vor einem größeren Publikum miteinander zu sprechen. Es gab auch Dialoge mit dem Publikum. Ich habe diesen dreitägigen Kongress am gesamten ersten Tag besucht. Während dieses Tages bin ich durch verschiedene innere Phasen gegangen. Es gab eine Frage, die mich eigentlich durchgängig begleitet hat, und die mich nach wie vor beschäftigt: Wie unterscheide ich zwischen wahrhaftiger Autorität einerseits und Arroganz und Überhöhung?

OM: (langes Schweigen) Arroganz und Überhöhung würden nicht unbedingt von Erwachen zeugen. Was heißt denn „Erwachte“?

Frage: Diese Frage habe ich mir während der ersten Tageshälfte auch gestellt. In der zweiten Hälfte, als es dann um individuelle Erfahrungen ging, zeigte sich, dass die meisten offensichtlich sehr tief gehende Erfahrungen von Ichlosigkeit, Glückseligkeit, einen Paradigmenwechsel durchgemacht hatten. Ich habe auch gefühlt, dass diese Frage: „Was macht denn den Lehrer oder die Lehrerin aus?“ auch im Publikum war. Für mich geht es dabei auch um die Frage um den echten und den falschen Lehrer. Ich habe durchaus auch Beiträge als sehr authentisch und wahrhaftig empfunden, aber der Zweifel war auch da. 

OM: Zweifel oder das, was ich einen „schalen Geschmack im Herzen“ nenne? Das ist nicht dasselbe. Zweifel ist gewöhnlich ein rational entkoppelter Verdacht, der nicht im Kontakt ist mit dem, was ich eine integrale Wahrnehmung aus dem stillen Herzen nenne. Es ist eben jene Form transpersonaler Wahrnehmung, welche einen derartigen untrüglichen „schalen Geschmack“ hervorbringen kann. 

Die Wahrnehmung aus dem stillen Herzen ist eine Qualität von Wahrnehmung, die zugänglich wird, wenn die persönliche Instanz des denkenden Geistes, die sich gewöhnlich die sogenannte „Wahrnehmung“ zu eigen macht, zurückgetreten ist, ein stiller offener Geist den Raum ausfüllt, mit einer, wie ich es nenne, 360 Grad offenen Aufmerksamkeitshaltung. In diesem Raum ist die Wahrnehmung nicht auf die Korrektheit ausgesprochener spiritueller Konzepte gerichtet. Genauso wenig ist sie auf äußere Verhaltensmerkmale der Persönlichkeit gerichtet. 

Du erinnerst dich vielleicht an meine Unterscheidung zwischen erster und zweiter Philosophie und dem Philosophen der ersten oder zweiten Kategorie, die diesen beiden Arten von Philosophie anhängen. Beide sprechen möglicherweise dasselbe Wort, nutzen dieselben Konzepte, zeigen auf einer Verhaltensebene die gleichen Merkmale: souveränes Auftreten, intellektuelle Brillanz, scheinbare innere Ruhe und Gelassenheit und ähnliches. Es sieht also von außen betrachtet identisch aus. Gleichwohl sind diese beiden Philosophen unendlich weit voneinander entfernt. Am Beispiel des Werkes von Ken Wilber habe ich im Buch Intelligenz des Erwachens auf diesen Geschmack zwischen den Worten hingewiesen, der dem Leser eines philosophischen Werkes zugänglich sein muss, um beurteilen zu können, welcher Kategorie von Philosophie dieses Werk zuzuordnen ist. Das ist ein Geschmack, der der Leere zwischen zwei Worten, dem gap, innewohnt, der nur dann wahrgenommen wird, wenn konzeptbehaftete persönliche Wahrnehmung vollständig zurückgetreten ist. So hat ja David Bohm im Dialog mit J. Krishnamurti Intelligenz definiert. Eine Definition, die mir sehr gefallen hat. Nämlich, „die Fähigkeit, zwischen den Worten lesen zu können“. Also das lesen zu können, was die Worte nicht ausdrücken. 

Wie vielen von denjenigen, die sich eine Beurteilung zugestehen, steht diese Stufe der Wahrnehmung wirklich zur Verfügung? Bei den meisten muss man schlicht von Anmaßung ausgehen.

Frage: Das berührt mich sehr stark. Denn in mir ist auch die Frage gewesen: Was vermisse ich eigentlich? Zwei Begriffe, die mir dazu kamen waren: Demut und Schweigen. Ich möchte dich fragen, welche Rolle die Anwesenheit von Demut und Schweigen für einen lernenden Raum spielen?

OM: Äußeres Schweigen ist von begrenzter Natur. Es hat seinen festen Platz in der Hinwendung zum stillen Geist eines jeden Menschen, eines jeden spirituellen Menschen. Wenn die stille Tradition das Schweigen lehrt, dann meint sie das innere Schweigen. Das innere Schweigen kann nicht erworben werden, sondern ist ein natürlicher Ausdruck finaler Realisation, die auch Erleuchtung genannt wird. 

Frage: Bedeutet das, dass es verdächtig ist, wenn 35 „Erwachte“ in einem Forum sitzen und darüber diskutieren, welcher Ansatz richtiger ist als der andere?

OM: Es ist gut möglich, dass dies ein Ausdruck von Rechthaberei des vermeintlich in Auflösung begriffenen Ichgeistes ist. Die Selbstexklamation von Erwachen würde ich nicht zu ernst nehmen. Es ist sicherlich sehr viel näher an der Realität, von einem „Erwachenden-Forum“ zu sprechen, als von einem „Erwachten-Forum“, obwohl das sehr differenziert angeschaut werden muss, denn da sitzen Menschen von sehr unterschiedlichen Stufen in der Großen Ordnung und von vielen weiß ich gar nichts. Jedoch weiß ich von einigen Menschen, die bei mir gewesen sind, die sich dann in Eigenwille abgewendet haben und sich in Formen von Selbstbetrug und Verblendung weiterentwickelt haben. Was sich übrigens mit Erwachenserfahrungen, mit Gipfelerlebnissen in keinster Weise ausschließt. Gipfelerlebnisse und Erwachenserfahrungen sind jedoch noch lange kein „Erwachen“. Da ist z.B. eine ehemalige Schülerin von Papaji, selbst Lehrerin, sie kam zu mir auf ein Retreat. Sie kämpfte mit kindlichen Traumata, hatte Anklagen auf „Männer“. Ich sagte zu ihr, dass sie die letzte Lehre von Papaji noch gar nicht erhalten habe. Dann hörte ich nichts mehr von ihr. Andere kamen zu mir und wurden „Schüler“, so glaubten sie jedenfalls. Ein Kommentar zum Abschied kommt mir besonders in den Sinn: Ich sagte zu ihm, er sei noch nicht einmal Schüler geworden, wie wolle er sich dann aus der Schülerschaft verabschieden?

Frage: Ist denn überhaupt ein einziger dieser ehemaligen Schüler sehenden Auges gegangen? 

OM: Nein. Ich habe das bisher nicht erlebt.

Frage: Im Publikum stellte jemand eine Frage, die sehr aufgefallen ist. Er fragte, ob die Anwesenden, die sich selbst „Lehrer“ nennen, noch selbst Lehrer besuchen. Und sagte dann so etwas wie, ob sich jetzt nicht mal ein Heiliger in deren Mitte setzen könne und etwas zu der ganzen Angelegenheit sagen könne. Die Frage, die in mir auftauchte, war: Was können eigentlich Motivationskräfte sein, dass sich wahre Lehrer in einen solchen Kreis zusammenfinden? 

OM: Ohne das allein auf diese Konferenz zu beziehen, generell könnte es eine Motivation sein, sich über die Wege des Dharmas auszutauschen. Wie das Dharma in die Welt tritt. In einer Kultur, in der sich traditionelle und nicht traditionelle Formen des Dharmas durchmischen. Auch wenn diese Konferenz unreif wirkt, so ist der experimentelle Charakter durchaus wertzuschätzen und es gibt ein kreatives Potential sich entwickelnder Auseinandersetzung. Dennoch bleibt ein unsauberer Geschmack eines Etikettenschwindels. Doch es geht hier nicht um Ver-urteilung, es geht hier um Be-urteilung. Beurteilung ist das Wirken von Intelligenz aus einem stillen Raum des Bewusstseins und darin ist größtmögliche Differenziertheit enthalten. Es gibt mit Sicherheit große Unterschiede zwischen diesen verschiedenen Menschen.

Menschen, die nach Beurteilung trachten, sollten wachsam sein, sich nicht in pauschalen und vorschnellen Urteilen zu ergehen. Das Grundproblem der Beurteilung sogenannten Erwachens besteht ja ohnehin darin, dass, wenn wir von einer Großen Ordnung ausgehen, die hierarchisch darzustellen ist, davon ausgehen müssen, dass jede Beurteilung alles beurteilen kann, was die eigene Entwicklungsstufe und alle niederen Stufen einschließt, nicht jedoch höhere Stufen. Diese Begrenzung erkennt der urteilende Geist jedoch meist nicht, er tendiert dazu, sich als das Höchste anzunehmen.

Frage: Ich habe dort auch mit einigen deiner ehemaligen Schüler gesprochen. Ich spürte bei ihnen durchaus eine Sehnsucht wieder Kontakt mit dir zu haben und gleichzeitig, ich weiß nicht genau, wie ich es ausdrücken soll, war da ein Geschmack von Selbstanspruch, wo zu sein. Das brachte mich zu der Frage: Wann endet eigentlich Schülerschaft wirklich? Du hattest in deinem vorletzten Buch schon einiges darüber gesagt. 

OM: Endet sie überhaupt? Mit Sicherheit endet sie nicht durch einen autoritären Akt des Eigenwillens des nichtrealisierten Ichgeistes. 

Frage: Bei mir hat sich durch den Satz gerade viel entspannt. Und es war auch das Gefühl, dass es auch für die anderen Menschen mit diesem Selbstanspruch, mit dieser Haltung, so entspannend sein könnte. 

OM: Was bedeutet hier Selbstanspruch? Meinst du damit den Anspruch eines Geistes an einem Ort zu stehen, an dem er nicht steht?

Frage: Ja, es ist so, als wären kaum noch oder gar keine Fragen mehr da.

OM: Das täuscht. Es werden bestimmte Fragen nicht gestellt, weil die Antworten nicht gehört werden wollen. Es ist ein Merkmal, eine Haltung aus der Schattenwelt spiritueller Entwicklung, dass der Ichgeist der Menschen woanders stehen will als er wirklich steht. Der Ich-Geist steht immer im Wettbewerb. Nicht mit anderen, sondern mit den Ansprüchen einer von ihm selbst abgespaltenen Instanz, dem spirituellen Über-Ich. 

Nehmen wir an, dieser Schüler ist dann mit einem Meister des Weges zusammen und es kommt zu einem Konflikt der darin besteht, dass der Meister den Schüler auf den Ort zurückweist auf dem er steht, während der Ichgeist des Schülers (sein Über-Ich) glaubt an einem ganz anderen Ort zu stehen. Wenn die selbst definierte und angenommene Position wesentlich höher liegt als die zugewiesene Position des Meisters, der in der Realität lebt (während der Schüler nicht vollständig in der Realität lebt), dann kann es in dieser Situation zu einem Bruch kommen, wenn der Geist des Schülers nicht die Demut besitzt aus seiner überhöhten Position auf die Position zurückzukehren, auf der er real steht. Seine überhöhte Position ist irreal, sie existiert nur in der Vorstellungswelt des Schülers, während der Meister sieht, dass sie gar nicht existiert. Die Instanz, die diese verblendete Diskrepanz herstellt im Ichgeist der Menschen nennen wir, mit den Begrifflichkeiten moderner Geistesforschung, das spirituelle Über-Ich. Die Verwechslung zwischen Gottvater und Gott selbst hat in unserer christlichen Tradition eine lange Geschichte. Ich habe dazu in dem Buch „Intelligenz des Erwachens“ einige Ausführungen gemacht. In moderner Terminologie beschrieben, ist die unsere ganze religiöse Kultur durchdringende Unschärfe zurückzuführen auf eine Unschärfe zwischen einer wahren Herzensautorität, die unpersönlicher Natur ist und eben diesem spirituellen Über-Ich, das sich Autorität lediglich anmaßt, ohne sie zu besitzen, denn es kennt sich nicht. Weder kennt es sich selbst, noch kennt es die hierarchisch übergeordnete unpersönliche Autorität des Seins. 

Frage: Du unterscheidest häufig zwischen der großen und der kleinen Selbsterforschung. Mir ist aufgefallen, dass es während der ganzen Zeit eigentlich nie um Themen der kleinen Selbsterforschung, also der Inneren Arbeit, ging. Es war so, wie wenn das abwesend wäre. Jemand sagte sogar: „Ja, ich lebe da innerlich mit jemanden zusammen. Mein Selbst braucht keinen Lehrer, aber der andere, der vielleicht schon.“

OM: Viele Menschen, die mit hochstehenden östlichen Lehren wie der Advaita-Lehre in Kontakt gekommen sind, kamen, wie ich es bereits des Öfteren ausgedrückt habe (so z.B. advaitaJournal Vol. 4), mit dem Konzept der Konzeptlosigkeit aus Indien zurück oder von dem Besuch von Meistern dieser finalen Lehre. Wie die Konzeptlosigkeit dieser finalen Lehre mit den Konzepten vereinbar ist, die von relativer Wahrheitsnatur sind und auf dem Weg innerer Praxis verwendet werden, wie das  vereinbar ist, das ist nur einem stillen Geist wirklich zugänglich. 

Viele dieser Menschen machen ihre Hausaufgaben nicht. Nicht gründlich, nicht sorgfältig. Sie glauben, weil sie sich für „erwacht“ halten, es nicht nötig zu haben. Das führt zu einer völlig unzureichenden Kenntnis über den inneren Gegner. Ich spreche häufig, wie du weißt, von der Notwendigkeit der Gründlichkeit innerer Praxis. Du erinnerst dich an die Zengeschichte, die ich in diesem Zusammenhang oft erzähle? 

Frage: Der Zenmeister, der dem Schüler die Aufgabe gibt, den Raum zu fegen?

OM: Ja, kurz vor Beendigung seiner Aufgabe wird er nachlässig. Das bisschen Staub in dieser Ecke, was macht das schon? Doch durch das geöffnete Fenster weht ein Windstoß den Staub wieder durch den ganzen Raum. Als der Meister den Raum betritt, ist seine einzige Bemerkung: „Ich gab dir die Aufgabe, den Raum zu fegen, doch du verteiltest nur den Staub.“

Große Selbsterforschung und kleine Selbsterforschung widersprechen sich nur aus der Sicht eines linearen Denkers. In der Realität ergänzen sie sich auf paradoxe Weise. Viele der sogenannten Neo-advaita-Lehrer (ein schreckliches Wort) stehen jedoch an diesem inneren Widerspruch, weil sie in der Nicht-Zweiheit noch gar nicht angekommen sind.

Frage: Und wie ergänzen sie sich?

OM: Ich gehe von einer Ewigen Philosophie aus, in der gleiche Gesetzmäßigkeiten und Stufen der Bewusstseinsentwicklung zu allen Zeiten an allen Orten in gleicher Form erkannt werden können. Die Ochsenbilder aus der Zen-Tradition, nach denen ich arbeite, stellen eine Beschreibung der universell gültigen Stufen dar. Die sogenannte kleine Selbsterforschung bezieht sich auf die erste Hälfte dieser Bilderfolge, beginnt sich dann zunehmend aufzulösen und sich ganz natürlich in die Große Selbsterforschung zu wandeln. Ich weise wiederholt darauf hin, dass diese Stufenmodelle keine wirklichen Stufenmodelle sind, sondern, dass diese Stufen in der Realität komplexer zu verstehen sind. Verschiedene Bewusstseinsforscher haben deshalb andere Begrifflichkeiten gewählt, wie beispielsweise „das Fluidum“ oder „Wellen, die ineinander fließen“. Das heißt, dass diese Stufenentwicklung nicht segmentiert abläuft - in dem Moment, wo die Bearbeitung eines Segmentes oder einer Stufe abgeschlossen ist, beginnt die nächste und so weiter - sondern in einem Fluidum. Jeder Evolutionsprozess eines Bewusstseins entspricht einem Fluidum. Diese Abläufe sind komplexer, sie greifen ineinander. Während Aspekte einer übernächsten Stufe in bestimmten Entwicklungssträngen bearbeitet werden, hängen andere Entwicklungsstränge hinterher. Du kennst meinen Ausdruck: Die Erkenntnisfähigkeit eines Menschen ist immer nur so stark wie sein schwächstes Glied. Und das schwächste Glied ist eben jener Entwicklungsstrang, der auf der niedersten dieser Stufen, dieser Ebenen fixiert ist. 

Frage: Die Selbst-Täuschung, wo ich meine zu stehen, kann scheinbar ein enormes Ausmaß annehmen. In deinem Buch „Intelligenz des Erwachens“ äußerst du dich kritisch zu dem amerikanischen Lehrer Andrew Cohen. Dieser ist nun vor kurzem nach über 25 Jahren Tätigkeit als spiritueller Lehrer offiziell als Lehrer zurückgetreten und hat sich bei seinen Schülern entschuldigt. Wie ist eine so lange Zeit der Täuschung möglich?

OM: Der Geist ist ein großer Magier. Ein Meister der Illusionen. Andrew Cohen ist schon vor 1991 gefallen. Er ist bereits gefallen, als er sich von Papaji trennte und sein Ich für „erleuchteter“ hielt. Es hat nur solange gedauert, bis es die Masse gemerkt hat. Er selbst hat es wahrscheinlich heute noch nicht wirklich gemerkt.

Frage: Gefallen aus was?

OM: Gefallen aus dem vorübergehenden SEINSzustand, den er durch das Zusammensein mit Papaji erfuhr. „Erleuchtet“ war er nie. Aus der finalen Realisation kann man nicht zurückfallen.

Höre dir Andrew Cohen während des Satsangs vom 9. November 1991 an. Er besuchte Gangajis Satsang auf Hawaii, nachdem sie öffentlich über sein „limited understanding“ gesprochen hatte. Der stille innere Hörer wird von eben jenem „schalen Geschmack des Herzens“ betroffen, den ich zuvor ansprach.

Ich habe damals genau hingehört – und von Andrew Cohens Fall gelernt. „Vigilance to your last breath“ waren Gangajis Worte. Ich bin dieser Bezeugung damals also äußerst dankbar, Andrew Cohen hat mir gedient. Auch wenn das sicher nicht die Absicht seines persönlichen Geistes war.  

Frage: Andrew Cohen schreibt in seinem Brief an seine Schüler: „Meine Absicht ist, ein besserer Lehrer und - was noch wichtiger ist - ein besserer Mensch zu werden.“ Das hört sich für mich - so wie du es vorhin in etwa zum Forum sagtest - mehr nach Schüler als nach Lehrer an.

OM: Ja, er ist ein Schüler des Weges und seine vornehmliche innere Aufgabe scheint mir einstweilen in der Menschwerdung zu bestehen, nicht in der Erleuchtung. 

Frage: In deiner Schülerschaft gab es auch den tiefen Fall eines Lehrers. Ich habe viele Jahre lang miterlebt, wie Zeno Eisenhuth  in der Mysterienschule in großer Liebe und Hingabe zu Dir war. Es erschreckt mich sehr, mitzubekommen, wie aus einem solchen Zustand eine derartig massive Trennung zum Lehrer erwachsen kann. Für mich bringt es auch etwas von Hoffnungslosigkeit mein eigenes Bemühen betreffend mit sich. 

OM: Wenn ich Machtmißbrauch und Manipulation im Namen von Wahrheit und Liebe bezeuge, dann braucht es eine Zurückweisung. Die Integrität eines Lehrers, auch wenn er begrenzt, d.h. aus der persönlichen Welt des denkenden Geistes agiert, wird dann verletzt, wenn er seine persönliche Begrenztheit verleugnet. Wenn er dann auch noch seinen persönlichen Müll auf seine Schüler und Weggefährten wirft und ihnen dafür die Schuld gibt, wird er vollends unglaubwürdig. Dann ist der Zeitpunkt gekommen, wo er sich besser aus seiner Lehrerposition zurückzieht. Andrew Cohen hat für diese Erkenntnis 25 Jahre gebraucht und in dieser Zeit viel Leid verursacht.

Wesentlich war für mich schon früh die Erkenntnis, dass sich Menschen nicht nur weiterentwickeln können, oder in ihrer Entwicklung stagnieren. Sie können sich auch zurückentwickeln, solange sie den point of no return nicht erreicht haben.

Frage: Wie kann das geschehen?

OM: Dummheit. 

Frage: Sind denn manche Menschen einfach zu dumm?

OM: Kein Mensch wird dumm geboren. Dummheit ist vom denkenden Geist hausgemacht. Das SELBST sagt so, der Eigenwille hört nicht und macht anders. Dummheit ist die Folge. In diesem tamasischen Zustand gibt es eine hochgradig begrenzte Unterscheidungskraft. So vertrauen sie einem Geist, schlimmstenfalls dem Dämon, aber nicht dem SELBST. „Nicht zu erkennen, dass alles, was man wahrnehmen kann, die Manifestation des eigenen Geistes ist, wird im Buddhismus samsara genannt“, schreibt Almaas. Samsara bezeichnet den grundlegenden Zustand der Verblendung durch den Geist. Für andere Schüler muss dieses Bezeugen kein Grund zur Hoffnungslosigkeit sein. Im Gegenteil: Der Sehende bedankt sich für dieses teaching und lernt. Die Kraft des Gegners für sich zu nutzen ist eine der wesentlichen Lehren auf dem Weg der Kraft. So wird der Gegner zum Verbündeten.

INTERVIEW MIT OM C. PARKIN, 2013
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