Die Große Ordnung der Ewigen Philosophie, der Weisheitslehre jenseits von Zeiten und Kulturen, beschreibt zwei für den denkenden Geist unvereinbare Ströme spiritueller Lehre: Die Philosophie des Seins und die Philosophie des Werdens. Der Vierte Weg beschreitet den zweiten Strom der inneren Lehre. Diese erlaubt dem Menschen nicht nur, seine wahre Natur zu erkennen, sondern offenbart als Philosophie des Werdens das verborgene Wissen über die Evolution des Bewusstseins. Hier wird ein äußerst differenziertes und praktisches Wissen über das Entfaltungspotenzial der Seele sowie über grundlegende Hindernisse dieser Entfaltung zur Verfügung gestellt.
Während sich die Lehre des Seins nicht interessiert für das, was vergänglich und für einen avatara1 nicht-existent ist – der Geist, das Ego, der fixiert-begrenzte Standpunkt eines Menschen – besteht ein wesentlicher Kern der Lehre des Vierten Weges in der Aussage: Der Mensch besteht aus zwei! inneren Systemen. Er ist ein geteiltes Wesen, bestehend aus einem natürlichen, sich seiner selbst bewussten Menschen und einer maschinenhaften, automatisch und unbewusst funktionierenden Imitation seiner selbst. Menschliche Entwicklung findet nicht selbstverständlich dadurch statt, dass der Körper altert und ein Mensch reicher an Erfahrung wird, sondern ausschließlich dadurch, dass eine Unterscheidungskraft entwickelt wird zwischen der Maschinenhaftigkeit einer geistigen Welt und der Natürlichkeit der Seele. Auf dem Vierten Weg wird dieses Wissen der Unterscheidung u.a. durch klare Erkenntnis über die eigene Begrenztheit vollkommen zur Verfügung gestellt und genutzt.
Ein wesentliches Hindernis der Selbsterkenntnis für den westlichen Menschen ist seine grundlegende „Verkopfung“. Neben der Tatsache, dass sein Bauch- und Herzzentrum geschwächt und im wahrsten Sinne dieses Wortes unterbelichtet ist, wirkt im Geist der meisten Menschen eine falsche Standortbestimmung: Der westliche Mensch glaubt zu verstehen, indem er an die Wahrheit von intellektuellen und theoretischen Konzepten glaubt. Diese Identität eines „Wissenden“ verhindert die Aufnahme von wahrem Wissen, so dass der innere Weg einen Suchenden zuerst in das Eingeständnis führen wird, ein Nicht-Wissender zu sein.
Die zwei großen spirituellen Pfade der Menschheit, die Erkenntnislehren des Seins und des Werdens, sie müssen in Einklang zueinander finden, um das vollendete Wissen im Bewusstsein des Menschen zu verwirklichen.
Mit dem Begriff des Vierten Weges geht auch derjenige der vierten Geburt einher. Dies impliziert, dass es drei Wege und drei Geburten gibt, die dem Vierten Weg voran gehen. Die drei Geburten und die drei Wege erlebt und geht jeder Mensch während der Evolution, indem er drei sogenannte Intelligenzzentren mehr oder weniger entwickelt: Das Bauch-, das Herz- und das Kopfzentrum. Jedoch kann durch Fixierung in einem dieser drei Zentren, und, damit einhergehend, geistig-emotionalen Hindernissen in allen drei Zentren, die wahre, integrale Intelligenz nicht ausgebildet werden. Erst durch die sogenannte vierte Geburt entwickelt sich der Mensch in einen Bewusstseinszustand, in dem alle drei Zimmer2, also die drei Intelligenzzentren Bauch, Herz und Kopf, entfaltet, beseelt und im Großen Fluss miteinander wirken.
Für diesen Prozess braucht es die Kraft einer bewussten Anstrengung2, die Bereitschaft, das eigene Energieniveau entscheidend anzuheben durch die Arbeit an allen drei Zimmern gleichzeitig. Das Wissen um das Gesetz der Drei, nach dem sich die Schöpfung und alle Evolutionsprozesse entfalten, das Wissen um die drei Wege und ihre drei zentralen Hindernisse, das Erfahrungswissen um die drei Intelligenzzentren, all das dient als Grundlage für die innere Standortbestimmung und die Möglichkeiten zur Wandlung. Die Geburt aller drei Intelligenzzentren muss erneut, bewusst und vollständig in einer zweiten Inkarnation durchlaufen werden, damit die vierte Geburt und somit die Freilegung des gesamten menschlichen Potenzials möglich ist. Eine Geburt ins unbekannte, sich seiner selbst bewusste Sein, in dem der integrale Fluss der menschlichen Intelligenz zum Ausdruck kommt – was den Tod der mentalen Vorherrschaft eines Ichs bedeutet. Das ist das Ende der Unwissenheit und damit das Ende von karma.
1 avatara (avatāra, Sanskrit: Abstieg, Herabkunft): die Manifestation des höchsten göttlichen Prinzips in der Gestalt eines Menschen
2 Begrifflichkeiten aus dem Sprachgebrauch von Georges I. Gurdjieff (1866-1949), griechisch-armenischer Weisheitslehrer. Er ist der bekannteste Vertreter der Schulen des Vierten Weges und eröffnet besonders durch die Schriften seines Meisterschülers P.D. Ouspensky das Wissen um den Vierten Weg im Westen.
Anmerkung: Eine ausführliche Erläuterung der Lehren des Vierten Weges ist in OMs Buch "Heilige INNERE WISSENSCHAFT –