Interview mit OM C. Parkin, Zeitschrift Bio von Marianne Scherer, Juni 2008
Dieses Interview wurde für eine breite Öffentlichkeit verfasst und stellt insbesondere für den unerfahrenen Selbsterforscher eine gute Einführung dar.
Was haben Sie in der Nahtod-Erfahrung bei Ihrem Unfall damals erlebt?
Es war kein Nahtod-Erlebnis. Eigentlich ist dies ein Begriff, der relativ hilflos umschreibt, was geschieht, wenn das Bewusstsein in einen Bereich vordringt, der im Tagesbewusstsein unbekannt ist. Der Umwandlungsprozess ist sozusagen ein Nebenprodukt. Was dabei entstehen kann, ist die Einsicht in das ewige Bewusstsein.
Was geschah bei diesem Unfall?
Der Unfall hat bewirkt, dass der Wahrnehmungsfilm riss, mit dem jeder Mensch ständig identifiziert ist. Ich beschreibe es auch häufig mit einem einfachen, für alle nachvollziehbaren Bild: Die Wolken ziehen sich zurück und der Blick in den Himmel wird frei.
Betrachten Sie das als eine Gnade?
Ja. Aber man sollte Gnade nicht als eine Kraft verstehen, die von außen auf den Menschen einwirkt, sondern vielmehr als eine göttliche Kraft, die von tief innen wirkt. Es ist nicht die Wirkkraft eines allmächtigen Gottes, der außerhalb von uns und nicht in unserem Innersten waltet.
Wenn die Gnade schon in uns ist, kann sie dann durch ein Schockerlebnis, wie z. B. einen Unfall, urplötzlich zum Vorschein kommen?
Ja. Aber es gibt Gott sei Dank auch andere Wege, um mit der Wirkung der Gnade in Berührung zu kommen. Niemand kann es sich leisten, auf einen Unfall zu warten oder darauf, dass ihm ein Ziegelstein auf den Kopf fällt und er plötzliche Einsichten ins ewige Bewusstsein erlangt.
Advaita sagt, man solle nicht suchen, sondern nichts tun und loslassen, dann geschehe sozusagen alles von selbst …
Das sagt die Advaita-Lehre nicht. Das ist die Art und Weise, wie der linear denkende Geist die Advaita-Lehre missversteht. Leider habe ich viele getroffen, die in Indien bei einem Advaita- Lehrer waren und dann aus dem Konzept des Suchens ein Konzept des Nicht-suchen-müssens machten, was ihr Geist wiederum übersetzte mit: „Es gibt nichts zu lernen.“ Es nützt nichts, wenn es in Ihnen einen Suchimpuls gibt, und Sie dann hören, Sie sollen nicht suchen. Das ist nur ein moralisches Verständnis, ein moralisches Gebot. Wenn Sie dann aufhören zu suchen, vergewaltigen Sie im Grunde den eigentlichen Impuls, der aus Ihrem Inneren auftritt, und erst durch innere Einsicht und inneres Sehen befriedigt wird. Und durch einen Fall, durch ein Hineinfallen in das Sein. Warum sollte ein Suchimpuls, der authentisch ist und die ganze Kraft eines Menschen in sich trägt, sich nicht auf ganz natürliche Weise in eine Einsicht wandeln? Es ist ja nicht Gott, der die Einsicht verwehrt, sondern es sind Kräfte in Ihnen selbst, die Ihnen die Einsicht verwehren. Nennen wir sie Unwille, oder Eigenwille.
Wie war der Weg von jenem Unfall bis zu Ihrem Auftreten als Lehrer?
Ich war nach dem Unfall nicht mehr derselbe. Es entstand ein Riss in der Ich-Struktur, der dazu führte, dass das ganze Gebilde eines Ich-Konzeptes mitsamt seiner Welt zusammenbrach. Gleichwohl gibt es viele Leute, die solche Ich-losen Zustände erleben. Allerdings zeigt die Erfahrung, dass sich in den allermeisten Fällen die Wolkendecke wieder schließt, einfach aufgrund der Tatsache, dass diesen Menschen zu diesem besonderen Zeitpunkt kein verwirklichter Lehrer zur Verfügung steht, der sie die Wachsamkeit und das innere Wissen lehren kann, das sie benötigen, damit das Ich sich nicht wieder zusammensetzt. Es reicht nämlich nicht, dass das Ich in tausend Teile ins Universum explodiert. Es muss vielmehr ein grundlegendes Wissen vorhanden sein, um diese Erfahrung so tief zu verankern, dass es nichts mehr gibt, was diese Einsicht in das wahre Selbst jemals wieder erschüttern könnte.
Die spirituelle Lehrerin, die Ihnen dazu verholfen hat, war Gangaji?
Ja. Ich traf sie direkt nach jenem Unfall und wurde ihr Schüler. Sie war damals gerade von ihrem Meister Shri H.W.L. Poonja, dem „Löwen von Lucknow“, aus Indien zurückgekehrt, um in seinem Auftrag die Advaita-Lehre im Westen zu verbreiten. Sie ist die erste moderne westliche Advaita-Lehrerin, die bei uns im Westen bekannt wurde.
Man hört mitunter, Yoga sei nicht für den westlichen Menschen gedacht und diese sollten lieber einem westlichen Weg folgen. Wie denken Sie darüber?
Diese Aussage trägt in gewisser Weise einen wahren Kern in sich. Zwar ist die Weisheitslehre im Kern überall dieselbe, egal aus welcher Tradition sie stammt. Was aber nicht dasselbe ist, ist der Geist der Menschen. Also sieht die spirituelle Praxis eines Inders anders aus als die eines westlichen Menschen. Meiner Erfahrung nach ist es für Abendländer außerordentlich wichtig, direkt mit ihrem Geist zu arbeiten, anstatt z. B. nur ritualisierte Formen des Gebetes zu verwenden oder körperzentrierte Übungen auszuführen.
Meinen Sie damit das Denken?
Ja. Das Denken ist ja ein „denkendes Organ“, das sich nicht nur im Denken, sondern auch im fühlenden Empfinden aufhält, aber vom Denken ausgeht. Im Denken der Menschen liegt auch das Geheimnis der Illusion und damit der Desillusionierung verborgen. Wenn ich das Denken, das ich vorhin mit einer geschlossenen Wolkendecke verglichen habe, wenn ich dieses Denken aus der Identifikation lösen kann, wenn ich das Aufspalten zwischen Unterbewusstsein und Oberbewusstsein auflösen kann, wenn der Mensch in der Lage ist, tatsächlich Gedanken auch als solche zu erkennen, dann öffnet sich der Himmel und Einsicht kann geschehen.
Man wird also dann zum „Seher“, wie Ramana Maharshi es formuliert hat?
Genau. In Indien gibt es häufig noch eine Form innerer Transparenz, die hier im Westen eigentlich kaum anzutreffen ist. Hier sind die Menschen meist zu kopflastig, so dass die reine Einsicht in einen stillen, gedankenlosen Himmel fehlt.
Wie arbeiten Sie konkret mit Ihren Schülern, damit sie in diesen Zustand kommen?
Zum Beispiel mit direkter Einsicht in die Stille, ohne lange bei geistigen Inhalten zu verweilen. Das ist Darshan. Darshan heißt Sehen, das Sehen von Gott. Gleichzeitig ist regelmäßige Innere Arbeit notwendig, um den Spuren des Geistes im Innen solange zu folgen, bis sich seine gesamte Struktur offenbart. In der Inneren Arbeit geschieht kleine Selbsterforschung, im Gegensatz zur großen Selbsterforschung, welche im Darshan geschieht. Die kleine Selbsterforschung besteht darin, die Überzeugungen und Vorstellungen, die man bislang als Realität angenommen hat, zu erforschen, zu hinterfragen und zu unterscheiden, ob sie real sind oder nicht, und sie in einem größeren Kontext zu sehen. Sie steht im Dienste der großen Selbsterforschung, die nach den Lehren Ramana Maharshis aus nur einer einzigen Frage besteht: Wer bin Ich? Diese Frage, durch direkte, innere Schau beantwortet, trägt in sich die Kraft vollständiger Auflösung der Idee eines getrennten Ichs. Es bleibt nur das Einssein mit Gott, ein mystisches Erleben, das im Sanskrit als sat-chit-ananda (Sein-Bewusstsein-Glückseligkeit) bezeichnet wird.
Wie kann man einen wahren Lehrer erkennen? Eigentlich fehlt den Suchern ja gerade hier noch die Unterscheidungskraft.
Ein suchender Mensch kann anfangs tatsächlich nicht unterscheiden, ob es sich um einen verwirklichten Lehrer handelt oder nicht. Doch selbst wenn der Lehrer begrenzt ist, so kann es sein, dass der Schüler bestimmte Qualitäten, die dieser Lehrer oder diese Lehrerin ausdrückt, gerade benötigt. So geschehen viele begrenzte geistige, emotionale, oder körperliche Heilungen, die keine Heilung im umfassenden Sinne sind. Die einzig umfassende Heilung, die ein Mensch in diesem Leben erfahren kann, ist die Realisation seines SELBST. Die Voraussetzung dafür ist sowohl für westliche, als auch für östliche Suchende, dass sie mit einem verwirklichten Lehrer sind. Viele „aufgeklärte“ Westler glauben allerdings, sie hätten das nicht nötig. Weit verbreitet ist sogar die Vorstellung, einen spirituellen Lehrer brauchten nur „Schwache, die es nicht allein können“. Das ist freilich ziemlich naiv; die Erfahrungen vieler hundert Jahre in allen Weisheitstraditionen lehren etwas anderes.
Kann man mehrere Lehrer haben?
Solange sich ein Schüler innerlich in einem relativ unverbindlichen Zustand befindet, kann er zu allen möglichen Lehrern gehen. Erst wenn dann die innere Verbindlichkeit – die Selbstverbindlichkeit – auf dem Weg reift, dann ist ein fortgeschrittener Schüler auch in der Lage, bei einem Lehrer zu bleiben.
Worin unterscheiden Sie sich von anderen spirituellen Lehrern?
Der Unterschied zwischen Lehrern liegt darin, ob sie die reine Lehre wirklich vermitteln können oder nicht. Die reine Lehre ist die Essenz einer jeden Weisheitslehre. Alle anderen Unterschiede beziehen sich nur auf die Form. Die Form des Zusammenseins ist nicht so wichtig, denn die eigentliche Weisheitslehre kann sich auf Millionen von Arten übertragen. Wenn wir eine Tasse Tee zusammen trinken, kann das in einem bestimmten Augenblick von Bedeutung sein, während in anderen Momenten die Sprache enorm wichtig sein kann. Ich habe in den 90er Jahren eine komplexe geistige Schule gegründet, in der ich vielfältige Formen benutze, u. a. auch das Enneagramm – ein wunderbares Mittel zur Spiegelung unbewusster Strukturen des Ichs. In mir vereinigen sich östliche und westliche Traditionen, weil ich einerseits Europäer bin und andererseits nach Indien gelangte.
Was geschieht in dieser Mysterienschule?
Ich versuche, den westlichen und den östlichen Strom zusammenzuführen, indem ich aus der westlichen Philosophie, Esoterik, aber auch aus der westlichen Psychologie Wissen anwende, das im Laufe der Jahrhunderte bei uns gereift ist, um dem denkenden Geist zu begegnen und ihn schachmatt zu setzen. Gleichzeitig nutze ich das reine Verständnis der Advaita-Lehre, um den Menschen damit einen ganz direkten Fingerzeig auf das zu geben, was jenseits jeder Vorstellung ist. Die Menschen brauchen viel Praxis und wenig Theorie.
Woran kann man spirituellen Fortschritt erkennen?
Der Gradmesser für inneren Fortschritt ist zunehmende relative Leidensfreiheit und zunehmende innere Tiefe. Es ist schwierig, denn man kann nicht von einem linearen Fortschritt ausgehen. Das sind zu einfach gedachte Modelle, z. B. die Idee, daß wir eine Stufenleiter kontinuierlich emporsteigen. Die innere Entwicklung kann vielmehr als eine Wellenbewegung gesehen werden, als Wellen, die sich zurückziehen können, um dann wieder aufzusteigen. Menschen können sich sehr weit entwickeln und dann in diesem relativen inneren Frieden plötzlich einer Versuchung erliegen, die nicht vorhersehbar ist. Auf diese Weise können Menschen auch zurückfallen.
Also Prüfungen durchlaufen?
Ja, aber ich ziehe den christlichen Begriff der Versuchung vor. Es sind Versuchungen, die bis in sehr hohe Bewusstseinsstufen hinein wirken. Auch das ist ein wichtiger Aspekt in Hinblick auf einen Lehrer, wie ich aus eigener Erfahrung bestätigen kann. Denn wenn ich keinen Lehrer gehabt hätte, wäre die Wahrscheinlichkeit sehr groß gewesen, dass ich bestimmten Versuchungen des Geistes erlegen wäre. Gangaji betonte immer die Notwendigkeit der „Wachsamkeit bis zu Deinem letzten Atemzug“.
Dazu muss aber doch eine nahe Beziehung zu dem Lehrer bestehen?
Ja, das ist richtig. Deshalb kann ich Menschen, die hin und wieder einmal zum Darshan mit mir kommen, auch nicht als meine Schüler bezeichnen. Für mich ist ein Schüler jemand, der ein bewusstes inneres und auch äußeres Gelübde abgelegt hat, mit einem bestimmten Lehrer gehen zu wollen. Diesem Gelübde wird z. B. in unserer Mysterienschule dadurch Ausdruck verliehen, daß die Menschen einen Ring bekommen, der die innere Hochzeit, die Vereinigung mit dem Einen, repräsentiert.
Meinen Sie damit die chymische Hochzeit, von der die Mystiker sprechen?
Genau. Dieser Ring ist eine Spiegelung, ein Symbol der inneren Erinnerung an das wahre Selbst. Auch wenn die chymische Hochzeit noch nicht verwirklicht ist, ist der Ring eine dauerhafte Erinnerung an das, was die höchste Bestimmung des Menschseins ist. Die Menschen dorthin zu begleiten ist mein Auftrag als spiritueller Lehrer.