INTERVIEW DER INTERNETZEITSCHRIFT CHANGEX MIT OM C. PARKIN 2007
Postmoderne Vielfalt
Quelle: Dieser Artikel ist ein Auszug aus einem Interview von Michael Gleich mit OM C. Parkin und ist erschienen in der Internetzeitschrift changeX am 18.01.2007
Was ist Vielfalt aus spiritueller Sicht?
OM: Vielfalt ist die unendliche Auffächerung der Erscheinungsformen Gottes. Er hat unendlich viele Formen, seine Schöpfungskraft ist unbegrenzt.
Dennoch nehmen viele Menschen die Welt eher eintönig als vielfältig war...
OM: Es gibt einen Zusammenhang zwischen der Begrenzung menschlicher Ausdrucksformen und der Begrenzung des menschlichen Denkens. Ein enger innerer Raum begrenzt auch die äußere Vielfalt und die Ausdrucksformen der Intelligenz, wie sie durch den Menschen wirkt.
Wie entsteht diese Enge?
OM: Sie hat viel mit Bequemlichkeit zu tun – eine Art geistiges Betäubungsmittel, das jeder normale Mensch nimmt. Diese geistig-spirituelle Trägheit verleitet Menschen dazu, ausgetretene Pfade zu beschreiten. Vor der Beschneidung der Ausdrucksformen liegt die Beschneidung des Denkens. Viele Denkformen sind verboten. Menschen im Westen leben zwar äußerlich in einer Demokratie, ihr Innenleben gleicht jedoch in der Regel eher einem totalitärem Staat. Im Gehirn werden immer die gleichen Synapsen aktiviert und verstärkt. Die meisten Menschen schrecken davor zurück, wirklich neues und unbekanntes Terrain zu betreten. Dafür ist eine weitere wesentliche Energie verantwortlich: die Angst. Und die dritte, nicht so nahe liegende, ist die Eitelkeit. Die Eitelkeit ist für künstliche Vielfalt menschlicher Ausdrucksformen verantwortlich, eine Vielfalt, die flach ist, hohl. Eine Vielfalt, die über innere Enge nur hinwegtäuscht. Das ist wohl ein Merkmal unserer Epoche: eine zunehmende Auffächerung und Zersplitterung. Eine triviale Vielfalt ohne Gehalt, ohne Tiefe. Das Internet, das postmoderne Medium schlechthin, verdeutlicht das. Ein hoher Prozentsatz der Information, die dort verbreitet wird, ist nichts anderes, als geistiger Müll. Chatrooms, weblogs usw.: Ein Großteil der Information dient nur einem einzigen Zweck: der Zerstreuung von Angst. Im postmodernen Flachland geht alles in die Breite, wenig in die Tiefe.
Angst allem Fremdem gegenüber scheint in unserer Gesellschaft weit verbreitet zu sein. Was nehmen wir überhaupt als „fremd“ wahr?
OM: Normalerweise orientiert sich die Identität eines Menschen an seiner Vergangenheit – und nicht an diesem Augenblick und seinem Erleben. Vertraut ist, was in ihrem geistigen Archiv angelegt, sortiert und etikettiert ist. Und fremd alles, was nicht in ihren Erfahrungsfilmen vorkommt. Da leuchtet dann das Alarmsignal „unbekannt“ auf.
Wollen Menschen eigentlich etwas wirklich Neues kennenlernen?
OM: Es gibt Menschen, die tragen eine natürliche Toleranz und Offenheit in sich. Und Neugier – eine Eigenschaft von Kindern, die manchem auch als Erwachsener erhalten geblieben ist. Aber die meisten Menschen bleiben auf alten Wegen, die man immer wieder umdekoriert, so dass man sich weismachen kann, sie seien neu. Das oberste Ziel dabei heißt Sicherheit. Im Gegensatz dazu lehre ich Menschen, den Weg der Unsicherheit zu gehen. Denn wirklich Unbekanntes erfahren Menschen nur auf einem unsicheren, inneren Weg, der sie von der Geißel der Angst befreit.
Ist es für Menschen denn weniger leidvoll, auf vertrauten Wegen zu gehen, als sich davon zu befreien?
OM: Für 99,9 Prozent aller Menschen bedeutet das Vertraute, sprich: die Wiederholung des Vergangenen ein relatives Glücklichsein. Doch aus der Sicht des Weisen ist der Weg, der Sicherheit verspricht, der Leidensweg und der Weg der Unsicherheit und des ewig Neuen die einzig mögliche Befreiung. Meine Arbeit besteht darin, die Freiheitssehnsucht derjenigen Menschen zu unterstützen und zu leiten, die sich auf den inneren Weg begeben. Und sie zu ermutigen, sich auf das Unvertraute einzulassen.
Wie kann unsere Gesellschaft die Xenophobie überwinden, die Angst vor dem Fremden?
OM: Ich könnte jetzt die üblichen Schlagwörter wie Toleranz und Offenheit nennen. Das hieße Moral predigen, doch die Moral erreicht nur den Kopf, aber nicht das Herz. Die tatsächliche Bereitschaft, mit dem Fremden in Kontakt zu treten, entsteht durch jeden einzelnen – auf dem inneren Weg. Der besteht ja darin, die eigene Identität auf alles auszuweiten und es als „Ich“ zu erkennen. Und in diesem Moment ist es nicht mehr fremd. Das „Fremde“ ist für den Menschen immer das, was er künstlich von sich weg hält, das, womit er nichts zu tun haben will. Und genau das ist leider immer sein Eigenes, projiziert auf die Leinwand eines „Anderen“.
Bereitschaft zur Annäherung braucht es auch bei denen, die aus fremden Kulturen zu uns kommen.
OM: Ja, nehmen wir als Beispiel die Gruppe der nach Deutschland eingewanderten Türken: Viele sind von starker innerer Abgrenzung geprägt. Die Bewahrung der sogenannten „Tradition“ im Außen entpuppt sich häufig bei näherer Betrachtung von Innen schlicht als Bewahrung eigener Ignoranz. Diejenigen scheinen nicht bereit zu sein, sich wirklich der Kultur zu öffnen, mit der sie täglich Kontakt haben. Das würde nämlich bedeuten, ihr Denken zu verändern, neue Denkformen und damit Sichtweisen zuzulassen. Im islamischen Kollektiv herrschen stark sektiererische, ausgrenzende Tendenzen, die allerdings auch als globales Gegengewicht gegenüber der Flüchtigkeit und Beliebigkeit der Vernetzung im postmodernen Westen verstanden werden können. Das ist keine politisch korrekte Aussage, aber leider wahr.
Durch Globalisierung werden Kontakte zu anderen Kulturen immer häufiger – und damit die Gelegenheiten, andere als „fremd“ abzulehnen?
OM: Solche Kontakte zu Andersartigem nehmen durch die globale Vernetzung zwangsläufig zu. Es ist für alle schwieriger geworden, sich voreinander zu verheimlichen, den anderen auszublenden. Das ist ein großes positives Potential der Globalisierung. Jeder Krieg in einer noch so abgelegenen Weltgegend wird über die Medien übertragen und kommt uns näher. Wir können ihn schwerer ignorieren. Im globalen Dorf kann sich kein Land verstecken, selbst wenn es sich – wie Nordkorea – hermetisch abschottet. In naher Zukunft kann vielleicht jeder Mensch über Satellit jedem anderen Menschen an einem beliebigen Ort der Erde ins Schlafzimmer schauen. Eine äußere Annäherung zwischen allen Menschen auf der Erde ist also durch Mobilität und durch technische Medien zwangsläufig gegeben. Und meine Erfahrung mit der Funktion des menschlichen Geistes ist, daß eine äußere Annäherung des vermeintlich Fremden auch eine innere Annäherung erleichtert.
Es hat ja schon immer Weltreisende gegeben, die ein größeres Verständnis für das Fremde hatten, als der sesshafte Durchschnittsbürger...
OM: Weltenbummler haben im Vergleich zu immobilen Menschen, die ein Leben lang auf den gleichen Kirchturm schauen, häufig einen erweiterten und freieren Denkhorizont. Er entsteht durch die sinnliche Begegnung mit dem Fremden, welche den denkenden Geist zu neuen Sichtweisen inspiriert. Allerdings ist physische Fortbewegung nicht unbedingt notwendig, um sich aus alten Denkmustern zu befreien. Der größte Weise des vergangenen Jahrhunderts, Ramana Maharshi, ist nur ein einziges Mal aus seinem Dorf herausgekommen: Um sich an dem Ort niederzulassen, wo er den Rest seines Lebens verbracht hat. Am heiligen Berg Arunachala. Er hat vollständige Erleuchtung in größter räumlicher Enge erlangt. Die Weitung des Geistes in die Unendlichkeit ist nicht von äußerer, körperlicher Fortbewegung abhängig.
In der Wirtschaft ist die Offenheit für wirklich Neues besonders selten. Woran liegt das?
OM: Angst. Angst vor Verlust. Diese Angst kommt in der Wirtschaft stärker zum Tragen, weil sie in einer von Geld dominierten Gesellschaft ein unglaublich wichtiger Bereich ist. Wo Geld eine große Rolle spielt, ist die Angst stets der Begleiter, die Angst, alles zu verlieren. Und das ist vermutlich der Grund, warum z.B. die Deutschen, obwohl sie relativ reich sind, mehrheitlich nicht glücklich sind. Anders als Menschen in armen Ländern wie Nigeria oder Bangladesch, die sich selbst als sehr glücklich einschätzen. Geringer Besitz fördert eine spielerische Leichtigkeit im Handeln und eine Bereitschaft für das Abenteuer und das Experiment des Neuen. Aus der inneren Sicht der Weisheitslehre handelt es sich hier jedoch um eine innere Besitzlosigkeit, die der Mensch, der nach wahrem Glück strebt, erlangen kann. Meister Eckehart und andere christliche Mystiker nannten es „geistige Armut“. Diese geistige Besitzlosigkeit geht immer mit der äußeren Bereitschaft einher, alles zu verlieren. Und natürlich auch alles zu gewinnen.
Globalisierung bedeutet für Unternehmen, dass sie Geschäfte in anderen Kulturräumen machen und immer mehr Menschen aus anderen Kulturen einstellen. Wie können sich Manager auf diese Situation einstellen?
OM: Natürlich können sie Verhaltensregeln lernen, wie man sich in anderen Kulturen bewegt, ohne anzuecken. Aber die innere Fremde wird durch solche äußeren Regeln niemals behoben. Auch Manager brauchen die Rückbindung an die Quelle, an die eigene Seele. Der Umgang mit Unsicherheit muss auf ihrer inneren Werteskala Priorität bekommen, damit sie in der Lage sind, Fremdem offen zu begegnen und es zu integrieren. Dazu zählt auch die Bekenntnis zur Unwissenheit. Ich las in der „Zeit“ ein Interview mit einem Professor für Soziologie von der Universität München, Armin Nassehi. Er betonte die „Nichtwissenspotentiale“ und stellte die Frage: Warum sagt eigentlich nie ein Politiker oder Wirtschaftslenker: „Leute, ich habe keine Ahnung."?
Unsicherheit schmeckt Managern gar nicht. Ihnen geht es um Shareholder Value, die vermeintliche Sicherheit von Investitionen...
OM: Mittlerweile haben sie verstanden, dass sich Ökologie und Ökonomie nicht ausschließen. Und irgendwann werden sie lernen, dass sich auch der innere Weg, das ist der eigentliche Weg des Menschen, und wirtschaftliches Handeln nicht ausschließen. Ganz im Gegenteil, in einer vernetzten Weltwirtschaft werden Firmen ja geradezu gezwungen, sich mit anderen Kulturkreisen, die häufig viel spiritueller sind als unsere, auseinanderzusetzen. Aber nicht wie im Kolonialismus, als westliche Kulturen dominierten und die einheimischen ausgebeutet oder zerstört wurden. Sondern als echte Integration.
Unternehmen, die das nicht schaffen, etwa bei einer Fusion andere Kulturen zu integrieren, scheitern kläglich...
OM: Oft ist das einzige Heilmittel der Moment des Versagens. Dann sind Unternehmen und Manager zu wahren Lernsprüngen in der Lage.
Besonders starke Abstoßungsreaktionen gibt es zwischen islamisch und christlich geprägten Kulturen. Woran liegt das?
OM: Beide Kulturen haben einen wahren spirituellen Kern, stehen jedoch jeweils für einen anderen Aspekt. Während die islamische Kultur viel stärker die Bewahrung der Überlieferung betont, hebt die moderne westliche Kultur eher den Fortschritt und damit das Zurücklassen des Überdauerten hervor. Der Islam steht für Traditionalismus und letztlich für die Rückbindung zum Einen, für die Erinnerung an den spirituellen Weg. In seinen extremen Interpretationen aber auch für abergläubischen, vorrationalen Mythenglauben, der sich jeder Wandlung widersetzt. Die kapitalistische, westliche Welt dagegen steht für Aufklärung, in ihrem Extrem aber auch für Atheismus, für die Abkehr von jeglicher Spiritualität. Eine Verbindung aus beiden Standpunkten, die nur scheinbar widersprüchlich sind, könnte heilend wirken: aufgeklärtes Denken, das mit den spirituellen Wurzeln verbunden und in der Lage ist, Andersartiges zu integrieren.
Warum gibt es weniger Reibungen zwischen westlichen und hinduistischen Gesellschaften?
OM: Hinduistische Gesellschaften, die von einer gewissen Trägheit geprägt sind, wirken auf westliche, eher angstbesetzte Kulturen beruhigend. Es gibt einen zweiten Grund: Indien ist nicht zufällig die größte Demokratie der Welt. Denn das Land hat die Rückbindung zum Einen noch nicht verloren. Dort existiert noch eine Art „spiritueller Matrix“, in die die Menschen eingebunden sind. Das befähigt sie, Neues als Eigenes und Alles mit Allem verbunden zu sehen. Menschen wie Gandhi haben den Weg der Toleranz nicht gepredigt, sondern vorgelebt. Die westliche Welt kann in dieser Hinsicht sehr viel von Indien lernen. Das Mutterland der Spiritualität zeigt uns, wie sich viele Religionen, Sprachen und andersartige Persönlichkeiten, die nicht der Norm entsprechen, integrieren lassen. In Indien ist es noch normal, „Verrückte“ auf der Straße zu sehen. Bei uns wird man doch für „abnorme“ Lebensäußerungen in der Öffentlichkeit gleich angezeigt, oder sogar eingesperrt. Mein Lehrer Sri Poonjaji hat sich immer über Deutsche lustig gemacht. Gerne erzählte er die Geschichte von einem Deutschen, der in Berlin abgeholt wurde, weil er auf der Straße nicht aufhören konnte, sich vor Lachen auszuschütten. So jemand kann doch nur unter Drogen stehen, oder er hat eine psychische Krankheit. Indien hält insofern für das Zeitalter der Globalisierung wichtige Lehren bereit. Vielleicht breitet sich auch deshalb indisches Kulturgut im Westen aus und gewinnt die indische Philosophie bei uns immer mehr Anhänger. Ähnliches gilt für den Buddhismus, dessen Anhänger von verwirklichter Toleranz immer sehr viel mehr verstanden haben als die meisten Christen oder Mohammedaner.
Haben andere Kulturen für uns die Funktion eines Spiegels, in dem wir uns sehen – auch all das, was wir gerne ausblenden würden?
OM: Im globalen Dorf sind wir ständig vielfältigen Spiegeln unseres Inneren ausgesetzt. Aus innerer Sicht ist die äußere Welt der Formen und Phänomene nichts anderes als ein Spiegel innerer Prozesse. Und wer in den Spiegel schaut, muss wissen, dass man ihm nicht vorschreiben kann, welche Aspekte er zeigt und welche nicht.
Und das ist automatisch positiv?
OM: Wenn wir es nicht aushalten, in den Spiegel zu schauen, den uns andere vorhalten, kann daraus Gewalt und Krieg entstehen. Ein christlicher Fundamentalist etwa, der gegen Muslime hetzt, sieht ja nicht den Islam an sich: Er sieht seinen eigenen gewalttätigen Schatten. Es gibt keinerlei Unterschied im Denken zwischen christlichen Fundamentalisten und fanatischen Islamisten.
Steuern wir also doch auf einen „Kampf der Kulturen“ zu, wie der Politologe Samuel Huntington voraussagt?
OM: Dass Globalisierung zwangsläufig zu Kulturkontakten und den genannten Spiegelungen führt, bewerte ich eher als positive Chance. Auch dann noch, wenn es vorübergehend zu Ablehnung und Konflikten kommt. Auf lange Sicht wird die Ignoranz an Boden verlieren.