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Die Präsenz des Todes

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FRÜHJAHR 2000

Darshan mit OM

am Todestag von Joachim-Ernst Berendt, 4. Februar 2000

Quelle: "Die Präsenz des Todes" ist ein Auszug aus dem im advaitaJournal Vol.2, Frühjahr/Sommer 2000 erschienenen Artikels. Das advaitaJournal ist zu beziehen über Online-Shop von advaitaMedia.

Joachim-Ernst Berendt war Teilnehmer der Trainingsgruppe, die sich in der ersten Februarwoche dieses Jahres zur Arbeit mit OM in einem Seminarhaus am Ratzeburger See versammelt hatte. Während dieser Woche rief eine früher eingegangene Verpflichtung Joachim zu Vortrag und Lesung nach Hamburg. Auf dem Fußweg zum Veranstaltungsort erlitt er einen Verkehrsunfall, an dessen Folgen er Stunden später verstarb. OM überbrachte die Nachricht der zu diesem Zeitpunkt zur Arbeit vereinten Gruppe. Nach einer Zeit der Stille, die dem Herzen Raum gab, schloss sich spontan ein Darshan an, aus dem zu Ehren von Joachim-Ernst Berendt Auszüge hier wiedergegeben werden. (s. auch diese Zeitschrift, Vol.1, S. 15-19).

Herzlich willkommen zum Darshan.

Ich möchte über den Tod sprechen. Ich bin prädestiniert dazu, über den Tod zu sprechen. Ich möchte einmal ausgehen von dieser kurzen Zen-Geschichte, die ich hier bereits erzählte: Der Schüler fragt den Zen-Meister: "Was ist der Unterschied zwischen einem Zen-Meister und einem gewöhnlichen Menschen?" Antwort des Zen-Meisters: "Der Zen-Meister weiß, daß er stirbt."

Wer diesen Koan tief erkennt, weiß, was es bedeutet, angesichts des Todes zu leben. Der Tod ist der Moment, in dem es keine Zukunft mehr gibt. Der weise Mann lebt jeden Moment angesichts dieses Todes, und es ist paradox, daß in dieser Gleich-Gültigkeit dem Leben und dem Tod gegenüber die Fülle des Lebens, die vollkommene Fülle des Lebens erst verfügbar wird, die vollkommene Tiefe des Lebens.

Ich denke, es ist spürbar für alle, dass, wenn der Tod plötzlich unvermittelt in deine Nähe kommt, so wie jetzt durch Joachims Tod, du plötzlich eine unglaubliche Intensität verspürst, eine Tiefe des Erlebens, die in der Trivialität des Alltags-Bewusstseins verlorengeht.

Wir haben keine Zeit! Wir denken, wir hätten viel Zeit, aber in Wirklichkeit bleibt uns keine Zeit. Natürlich lebt der Geist in ständigem Stress und Hektik, und alle sprechen von einer Welt, die sich immer schneller dreht, und dennoch, unnatürlicher Weise, liegt darunter die Einstellung, sehr viel Zeit zu haben bis zum Tod, bis zur Freiheit, bis zur Erkenntnis. Du hast keine Zeit!

Vorhin sagte ich zu jemandem: "Wenn du einmal die Chance bekommst, musst du sie nutzen. Wer weiß, ob du noch einmal eine Chance bekommst." Ich erinnere mich an diesen Moment, im Zusammensein mit Gangaji, wo mir plötzlich mit aller Macht bewusst wurde: "Dies ist die Chance, vielleicht kommt sie nie wieder, du musst sie nehmen". Und in diesem Bewusstsein der einen Chance war eine Haltung von Radikalität, dem Wissen, dass nichts mehr wichtig ist, außer diese Chance zu nutzen. Ich hatte diese Chance nie gesehen. Kein normaler Mensch sieht diese Chance, weil die Chance zu vollkommener Befreiung im System des denkenden Geistes zunächst gar nicht vorkommt, in der Beschränkung des Denkens gar nicht vorkommt. So wie Poonjaji sagte: "Der Gedanke 'Ich will frei sein' ist der seltenste aller Gedanken".

Willst Du auf dem Sterbebett liegen so wie ein normaler Mensch, der das Leben Revue passieren lässt, und alle verpassten Chancen tauchen vor seinem inneren Auge auf? Dann die Reue und die Schuld. Die Schuld nicht wirklich gelebt zu haben, nicht vollkommen gelebt zu haben. Wir alle kennen diesen Satz, der weise ist, aber der vom Verstand nicht erfasst werden kann: Lebe jeden Moment, als sei er dein letzter. Lebe jeden Moment mit dieser vollkommenen Intensität, als sei es dein letzter. Nicht einmal als sei es dein letzter, in Wahrheit und Erkenntnis weißt du, es ist dein letzter. Denn jeder Moment, von dem du glaubst, dass er noch kommt, existiert nur in deinem Verstand. Die Wahrheit ist, dass der Tod und das Ende in diesem Moment ist und nicht in der Zukunft, in der eingebildeten Zukunft. Und deshalb wende dich nur mehr diesem einen Moment zu, ohne Geschichte zu verleugnen. In diesem Moment findet vollkommene Berührung statt, und die ist es eben, vor der der Verstand wegläuft. Er schafft sich die Zeit, weil er glaubt, die Intensität dieser vollkommenen nackten Berührung nicht auszuhalten.

Das Denken ist die Zeit.

Ohne Denken gibt es keine Zeit.

Zeit ist Denken und Denken ist Zeit.

Auszug aus dem im advaitaJournal Vol.2, Frühjahr/Sommer 2000

 


advaitaJournal Vol. 02
Leben und Tod
Magazin, 58 Seiten, advaitaMedia 2000

Die zweite Ausgabe des advaitaJournals hat den Themenschwerpunkt "Leben und Tod" als ineinander verschmelzende Erscheinungsformen des Einen, das der dualistisch denkende Geist nur gegensätzlich fassen kann. Dieser Band enthält ein achtseitiges Interview mit Gangaji ("Der Fluss der Freiheit"), der Autorin von "Der Diamant in deiner Tasche", zu dem Eckhart Tolle das Vorwort schrieb.

Zum Heft auf www.advaitaMedia.com/shop>

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