Auszüge aus einem Artikel von OM C. Parkin
Wir veröffentlichen hier zwei Auszüge aus einem sehr wesentlichen und 10 Seiten langen Artikel von OM C. Parkin. Der vollständige Artikel kann im Online-Shop von advaitaMedia erworben werden, was wir herzlich empfehlen.
Was verstehen wir unter integraler Heilung? Eine mögliche Übersetzung von integral ist ganzheitlich. Ganzheitlich ist zunächst ja ein Begriff, der sehr positiv besetzt ist. Wer will das nicht, ganzheitliche Heilung, ganzheitliche Herangehensweise an sich selbst? Doch es gibt eine Grenze in der Attraktivität der Ganzheitlichkeit für viele Menschen. Ich gebe in meinen Ausführungen keinen einfachen Zehnpunkteplan, keine Anleitung zu Lebenshilfe, als einziges Rezept benenne ich das konsequente Beschreiten eines inneren Weges, was ja für viele Menschen nicht so attraktiv ist.
Nun können wir zunächst die Frage stellen, ob ein Mensch Heilung überhaupt braucht. Es gibt tatsächlich sehr radikale Antworten aus der Weisheitslehre. Diese Antworten verneinen, das heißt, der Mensch braucht eigentlich gar keine Heilung, weil er heil ist. Es nützt ihm nur nichts, dass er heil ist, solange er nicht weiß, dass er heil ist. Die menschliche Realität, in der zunächst einmal fast alle Menschen leben, ist das, was die Meister aller Generationen auch als den Schlaf bezeichnet haben, den Schlaf des Bewusstseins. Mit dem Zustand des Schlafes des Bewusstseins – wir können diesen Zustand auch als Selbstvergessenheit verstehen – beginnt jeder Prozess des Unheilwerdens. In der Homöopathie unterscheidet man drei grundlegende Phasen eines Krankheitsprozesses, eines Unheilprozesses und es ist gut, diese Phasen von ihrem Prinzip her zu verstehen, denn jeder Unheilprozess, gleich auf welcher Ebene des Menschseins er geschieht, folgt diesen Phasen. In der Homöopathie nennt man diese Phasen eines Krankheitsprozesses auch Miasmen, das kommt aus dem Griechischen und heißt so viel wie Verunreinigung oder Befleckung.
In der ersten Phase eines jeglichen Krankheitsprozesses tritt eine Form von Hemmung auf, die einen natürlichen Fluss, einen natürlichen Entfaltungs-, Evolutionsprozess in irgendeiner Weise begrenzt. Mit dieser Phase beginnt ein Unheilprozess. Die zweite Phase ist die Phase einer Form von Produktion, es wird etwas produziert, künstlich produziert, was jedoch im Krankheitsprozess seinen Wert hat, um eine Form von Schutz herzustellen. In der letzten und dritten Phase des Unheilprozesses kommt es dann zur Destruktion, zur Zerstörung. Die Prinzipien, die diesen Phasen zugeordnet sind, entsprechen natürlich auch den Phasen in der geistigen Welt, in geistigen Prozessen, die ja das Wesentliche sind auf dem inneren Weg. Grundsätzlich sind diese drei Phasen den drei inneren Bewegungsformen des Geistes des Menschen zuzuordnen, den Bewegungen, die für jeden Unheilprozess verantwortlich sind.
Auf die erste Phase der Hemmung – auf der geistigen Ebene kann man von Selbstbegrenzung, Selbstkontraktion sprechen – folgt der Versuch sie durch eine Form der Über-Aktivität, der Über-Expansion, der Über-Produktion zu überwinden. Durch Streben und Über-Aktivität des Geistes versucht der Mensch, die Begrenzung zu lösen und schießt dabei zwangsläufig erstmal über das Ziel hinaus (wenn wir uns umschauen in der Welt, sehen wir erhebliche Ausmaße von Überaktivität ausbeuterischer Art in der gesamten westlichen Industriewelt).
Die dritte Phase, die destruktive Phase, beschreibe ich mit dem Begriff Selbstzerstörung. So können wir uns anhand dieser einfachen Prinzipien orientieren, wo man sich eigentlich befindet. Wir finden diese Prinzipien ja auch im Konzept des Enneagramms wieder: der Selbstbegrenzung ist Punkt sechs zugeordnet, dem Streben Punkt drei und der Destruktion Punkt neun.
Nun zum Begriff der integralen Heilung. ‚Integral‘ kann übersetzt werden mit ‚ganzheitlich‘, ‚umfassend‘. Lateinisch heißt ‚integrare‘ unversehrt machen, wiederherstellen, also den ursprünglichen Zustand wiederherstellen, ganz werden. Und Ganz-Werdung bedeutet Eins-Werdung, und Eins-Werdung ist Heil-Sein, ist Heilung. Das heißt, in einem Zustand des Einsseins im Bewusstsein des Menschen gibt es kein Unheil. Nun ist der Entwicklungsprozess, den Menschen evolutionär durchlaufen, wie wir wissen, kein reiner Integrationsprozess. Der menschliche Entwicklungsprozess von der Kindheit bis in das Erwachsenenalter ist sicherlich auch ein Integrationsprozess, aber es ist auch das Gegenteil eines Integrationsprozesses, man könnte dafür den Begriff ‚Exklusion‘ verwenden. Ein Exklusionsprozess ist ein Prozess, in dem jemandem Teile seiner selbst irgendwo auf dem Weg verloren gehen. Er weiß nicht genau, warum, er verliert sie aus dem Bewusstsein seines Selbst. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass der Begriff Individuum eigentlich das Unteilbare bedeutet, obwohl wir ihn ja im landläufigen Gebrauch eigentlich ganz anders verstehen. In meinem Buch „Die Geburt des Löwen“ nenne ich diesen Exklusionsprozess auch den Selbstschrumpfungsprozess des Ichs. Das heißt, der Entwicklungsprozess eines Menschen ist nicht nur ein Prozess des, vereinfacht gesagt, Immer-größer-Werdens, des Immer-weiter-Werdens und Immer-umfassender-Werdens, sondern es gehen eben auch große Teile seines Selbst verloren und das geschieht durch Abspaltung. Daraus folgt natürlich, dass wir für den Heilungsprozess das Abgespaltene, das wir verloren haben, wieder zu uns nehmen müssen, und das, was nicht mehr Ich ist, zurückholen, so dass es wieder Ich wird. Das ist ein einfaches Prinzip eines Heilungsprozesses.
Heilung ist die Wiederherstellung des ursprünglichen, unversehrten Zustandes des Menschen, die eigentliche Rückbindung zur Quelle. Heilung bedeutet, den Menschen wieder in diesen Zustand innerer Harmonie und inneren Gleichgewichts zu versetzen.
OM C. Parkin
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Ich möchte jetzt ein weiteres Konzept einführen, um die grundsätzliche Dimension von Heilung, von geistiger Heilung, zu erfassen. Ich nenne es den Kampf zweier innerer Systeme. Wir kennen alle den Ausspruch aus Goethes Faust: „Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust. Die eine will sich von der anderen trennen.“ Nun ist es so, dass diese beiden Seelen, von denen Goethes Faust hier spricht, beide den gleichen Namen tragen und dieser Name ist ‚Ich‘. Dazu schreibt Ouspensky in dem Buch „Der Vierte Weg“: „Im gewöhnlichen Leben wissen wir noch nicht einmal von der Existenz dieser beiden Prinzipien. Im Selbststudium wird uns diese Einteilung genannt, aber der Wesenskern und die Persönlichkeit“, so nennt er diese beiden inneren Systeme, „sind so miteinander verquickt, dass diese Einteilung für die Menschen lange Zeit theoretisch bleibt. Im Laufe der Arbeit wird man dann nach und nach sehen, dass einige Dinge verwurzelter sind, tiefer in mich eindringen, als andere. Auf diese Weise kann man allmählich den Wesenskern erkennen.“ Dieses Konzept zweier innerer Systeme ist eines der wesentlichsten Konzepte im Verständnis ganzheitlicher Heilung des Menschen. Die Gurdjieff-Schule nennt diese beiden Systeme ‚Persönlichkeit‘ und ‚Wesenskern‘. Ken Wilber, einer der großen zeitgenössischen Bewusstseinsforscher, mit dem ich mich auch viel auseinandersetze, bezeichnet diese beiden Systeme als die ‚frontale Persönlichkeit‘ und die ‚tiefere psychische Persönlichkeit‘. Ich nenne diese beiden Systeme die ‚Seele‘ oder auch das ‚Wesen des Menschen‘ und den ‚denkenden Geist‘. Beide treten mit Namen Ich auf. Wir können diese beiden Systeme auch als Ich und Nicht-Ich bezeichnen.
Nun gibt es zwei Betrachtungsweisen dieser beiden inneren Systeme, die im Kampf miteinander stehen, eine horizontale und eine vertikale. Die horizontale Betrachtungsweise ist die Betrachtungsweise des Anfängers, sie unterscheidet zwischen Gut und Böse. Trotzdem hat diese Betrachtungsweise bereits ihren Wert, wie folgende kleine Geschichte widerspiegelt. Sie heißt „Der Wolf in uns“. Nach einem harten Arbeitstag mit manch erlebten Ungerechtigkeiten resümiert der Vater abends seiner kleinen Tochter gegenüber: „Weißt du, manchmal habe ich das Gefühl, dass sich zwei Wölfe in mir streiten. Der eine ist sehr böse, rachsüchtig und gemein und will den Menschen schaden, die mir etwas angetan haben. Der andere ist gütig, möchte verzeihen und Frieden mit allen Mitmenschen schließen. Und diese beiden Wölfe kämpfen oft einen wilden Kampf in mir.“ „Um Gottes willen, Papa, wer gewinnt denn nun diesen Kampf?“ Der Vater lächelt bitter und antwortet: „Natürlich der Wolf, den ich füttere!“ Das ist schon eine nicht unwesentliche Erkenntnis, immer noch innerhalb einer eigentlich horizontalen Betrachtungsweise zwischen Gut und Böse. Nun muss man sagen, dass wir alle aus dieser Betrachtungsweise kommen. Sie entspricht dem kindlichen Bewusstseinszustand. Jedes Kind lernt, nachdem es aus der Einheit fällt, die Unterscheidung von Gut und Böse, wie wir schon aus dem Sündenfall aus dem Alten Testament wissen. Nun gibt es eine tiefere Betrachtungsweise dieser zwei Systeme, bei der es nicht mehr um Gut oder Böse geht. Dieses Unterscheidungsmerkmal nenne ich ‚real‘ und ‚nicht-real‘. Ich könnte auch sagen, echt und falsch, aber nicht falsch im Sinne von moralisch falsch, sondern falsch im Sinne von künstlich, nicht-natürlich, nicht-existent. Diese wesentliche, innere Unterscheidungsform auf dem Heilsweg muss auf allen drei Ebenen, in jedem Gehirn des Menschen getroffen werden. Das heißt, es gibt, vereinfacht ausgedrückt, im Bauch etwas Echtes, etwas Falsches, im Herzen etwas Echtes, etwas Falsches und im Kopf etwas Echtes, etwas Falsches. Es gibt wenige Menschen, die dieses Unterscheidungsvermögen beherrschen, es wird uns auch nicht gelehrt. Und wenn wir nicht konsequent einen Weisheitsweg gehen, dann gibt es auch nichts und niemanden, der uns das lehren kann. In dem erwähnten Zitat von Ouspensky gibt es einen Hinweis, dass es, wenn wir etwas in die Tiefe unserer selbst verfolgen, Dinge gibt, von denen wir erkennen, dass sie in uns Wurzeln haben. Und dass es andere Dinge gibt, die an der Oberfläche genauso aussehen als seien sie sozusagen von uns, aus meinem Innersten, als seien sie real und wahr. Aber in der inneren Bewegung finden wir, dass sie nicht verwurzelt sind. Sie sind dann wie ein Baum, wie eine Pflanze ohne Wurzeln. Um diese Unterscheidung überhaupt zu finden, müssen wir eine gewisse Tiefe in uns selbst erreichen, denn an der Oberfläche gibt es keine vertikale Unterscheidung, nur horizontale Unterscheidung. Und das Problem bei der horizontalen Unterscheidung ist, dass es Dinge gibt, die gut aussehen und böse sind und Dinge, die böse aussehen und gut sind. Zusammenfassend könnte ich also sagen, das ganze Unheil des Menschen stammt letztlich aus dieser Verwechselung zwischen Ich und Nicht-Ich, zwischen der Seele oder dem Wesen und dem denkenden Geist, zwischen der frontalen Persönlichkeit und der tieferen psychischen Persönlichkeit usw.
Quelle: „Integrale Heilung“, Vortrag von OM C. Parkin am 27.08.2014 in Hamburg und am 31.10.2013 in Stuttgart
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