Auszug eines Darshans mit OM C. Parkin, 04.11.2011, Gut Saunstorf - Ort der Stille
„Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinaus stoßen!“
(Joh., Kap. 6, Vers 37) (S.1-4, Würde)
Ich möchte heute Abend mit einigen Ausführungen zu einem Jesuswort aus dem Johannes-Evangelium beginnen:
„Da sprach Jesus zu ihnen: Wahrlich, wahrlich ich sage euch, nicht Moses hat euch das Brot vom Himmel gegeben, sondern mein Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel. Denn Gottes Brot ist das, das vom Himmel kommt und gibt der Welt das Leben. Da sprachen sie zu ihm: Herr, gib uns allzeit solches Brot. Jesus aber sprach zu ihnen: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten. Aber ich habe euch gesagt, ihr habt mich gesehen und glaubt doch nicht. Alles, was mir mein Vater gibt, das kommt zu mir und wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen. Denn ich bin vom Himmel gekommen nicht damit ich meinen Willen tue, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat.“
Ich möchte über die zentrale Aussage dieses Zitates „wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen“ sprechen. Was ist gemeint mit dieser Aussage „wer zu mir kommt“ und was könnte Menschen daran hindern „zu mir zu kommen“, wie es in dieser Aussage heißt? Dazu passt gut eine Anfrage, die ich zu dem Thema bekam:
Was ist eine reine Absicht und in welchem Verhältnis steht die reine Absicht zu einer reinen oder unreinen Handlung?
Zunächst beobachten wir, dass es in vielen Menschen Hindernisse gibt, diese radikale Nähe, diesen direkten Weg aufzusuchen und wir müßen uns fragen, was dem wirklich im Wege steht. Wir erinnern uns an einen Satz aus einem Gebet, das vielleicht viele von euch als Kind bereits gebetet haben: „Herr, ich bin nicht würdig, dass du einkehrst unter mein Dach“.
Es gibt in vielen Menschen einen im Bewusstsein nicht wirklich zugänglichen Glauben an die eigene Unwürdigkeit, der sich unter Widerständen, unter Fluchtgedanken und unter den verschiedenen Ausweichbewegungen dieses direkten Weges verbirgt. Dieses Gefühl, unwürdig zu sein, ist ein ganz existenzielles Gefühl des Ichs, das, wenn wir uns in der christlichen Terminologie weiterbewegen, bis auf den Moment des Sündenfalles zurückgeht.
Wer sich von der Würde trennt
Unwürdig fühlt sich der, der sich von der Würde getrennt hat. Die Würde ist so etwas wie der innewohnende Ausdruck des menschlichen Wesens, der menschlichen Natur. Und da wir auf diesem Weg begonnen haben mit den Vorstellungswelten dieses denkenden Geistes wider der menschlichen Natur zu handeln, wider der menschlichen Natur zu denken und wider der menschlichen Natur zu fühlen, haben wir – und wir tun es noch – die menschliche Würde verletzt. Aus diesem inneren Geschehen von Abwehr, von Kontrolle, von Abwendung von mir selbst wächst dann der Glaube heran, nicht würdig zu sein wirklich einzukehren, nicht würdig zu sein diesen direkten Weg zu wählen „zu mir zu kommen“, wie es in diesem Jesuswort heißt. Zudem geschieht es dann, dass diese innere Unwürdigkeit durch kindliche Vorstellungen davon verschleiert wird, dass Gott oder der Lehrer oder das Sein sie zurückweisen, wenn sie denn diesen Schritt tun würden, alle Abwehr, alle Kontrolle, alle Distanz innerlich aufgeben würden und in das hinein fallen, was sie wirklich sind.
Die unbewusste Furcht vor Zurückweisung
Es gibt die Vorstellung, dass ein Schutzraum aus der unbewussten Furcht vor Zurückweisung, vor Abweisung bewahrt werden muss, die wiederum aus diesem nicht vollständig erkannten Gefühl stammt, nicht wirklich würdig zu sein. Es gibt also sozusagen ein Loch in der menschlichen Würde, das in Wahrheit die Würde nicht angegriffen hat, das aber die Vollständigkeit der menschlichen Würde in dir verschleiert und sie innerlich so darstellt, als gäbe es ein Loch in ihr. Es ist sehr wesentlich dieses scheinbare Loch in der menschlichen Würde, welches tief und existenziell ist, wieder wahrzunehmen, um erforschen zu können, was es ist, was dich eigentlich abhält. Die Vorstellung, du könntest zurückgewiesen werden, ist in diesem Jesuszitat widerlegt worden. Wenn Jesus der ist, der nicht nach seinem eigenen Willen handelt, sondern der nach dem einzigen und einen Willen des Vaters handelt, lebt, wirkt, fühlt, denkt, dann gibt es in dieser Figur des einen Lehrers nicht die Alternative der Annahme oder der Zurückweisung, so wie es sich auch immer wieder ein naiver Schüler des Weges vorstellt, der glaubt, er müsste sich anstrengen um gut zu sein, um gut dazustehen, um möglicherweise das Loch der Würde zu verschleiern, um angenommen zu sein.
Die Vorstellung, dass da überhaupt ein Gegenüber ist, in der Beziehung des Schülers zu einem Lehrer, ist lediglich eine Projektion aus seiner geistigen Welt, in der er selbst glaubt, in jedem Augenblick eine Alternative zu haben, die Möglichkeit zu entscheiden, anzunehmen oder zurückzuweisen, für ein Ja oder für ein Nein. Das ist die Welt des Geistes, in der der Schüler zunächst lebt. In diesem vermeintlichen Gegenüber jedoch gibt es diese alternative Welt nicht und wir verstehen den, der keinen eigenen Willen hat als eine Widerspiegelung der Leerheit des Seins, in der lediglich das durch die oberflächlichen Ebenen der Persönlichkeit hindurch zum Vorschein kommt, was der Geist des Schülers hineingeworfen hat. Das würde bedeuten, dass wenn er die Erfahrung von Zurückweisung macht, dass er die Widerspiegelung der Zurückweisung in ihm selbst ins Bewusstsein gelegt bekommt. Das würde bedeuten, wenn er die Erfahrung der Abweisung macht, dass er sich selbst an diesem Punkt der Abweisung befindet, den er möglicherweise nicht sehen will, mit dem er sich davor bewahren will das tieferliegende Loch der Verletzung menschlicher Würde - der Unwürdigkeit - wahrzunehmen. „Der, der zu mir kommt, wird nicht hinausgestoßen“, doch wer kommt zu mir?
Wer kommt zu mir?
Das ist die Frage, die sich letztlich aus dieser Aussage in den Raum hebt. Wer kommt wirklich zu mir? Natürlich gibt es die Sehnsucht und den Wunsch in jedem Menschen. Gleichwohl gibt es, wie wir alle im Laufe des Weges schmerzlich mehr und mehr erfahren müssen, die Welt der Gegenkräfte. Diese Welt der Gegenkräfte ist es, der wir mit zunehmender Kraft innerer Aufmerksamkeit begegnen können und müssen, um wieder in die Lage versetzt zu werden wie Jesus sagt, zu mir zu kommen. Denn die Gegenkräfte sind es, die Abstand nehmen wollen. Es gibt sehr viele Gründe aus der Perspektive dieses Geistes, Abstand zu nehmen. In einem der letzten Darshans ging es beispielsweise um die Vorstellung eines Freiraumes für dieses Ich, in dem es die Möglichkeit hat, „sein Ding“ zu machen. „ Mein Ding“, das wurde in diesem Darshan wie ein geflügeltes Wort – ich mache „mein Ding“. Und „mein Ding“ kann ich nur solange machen, wie ich einen gewissen Freiraum aufrechterhalte, der es mir ermöglicht – so wie ein Kind, wenn die Eltern nicht zu Hause sind – die Vorstellung zu haben, tun zu dürfen, was sonst nicht erlaubt ist: auf den Tischen zu tanzen, Kissenschlachten zu machen, Dinge zerstören zu dürfen. Aus der kindlichen Sicht mag diese Welt eines sehr kleinen, gartenhaften Freiraumes noch irgendwo einen Platz haben. Aus der Sicht des erwachsenen inneren Menschen stellt sich dieser Freiraum als Schutzraum für das Ich dar. Und der Schutzraum für das Ich stellt sich nicht mehr als Freiraum dar, sondern in Wirklichkeit als ein Raum, in dem Leiden bewahrt wird.
Leidensbewahrensräume
Diese Leidensbewahrensräume, unter dem Deckmäntelchen von „mein Ding“, „mein Weg“, „mein Wille“, „meine Freiheit“ sind eben diejenigen Räume, die den Menschen möglicherweise davor bewahren, „zu mir zu kommen“, den direkten Weg zu wählen, eine innere Nähe einzugehen, in der jede Form von Kontrolle aufgegeben ist. Wenn Jesus sagt, „zu mir zu kommen“ meint er damit zu sich selbst, zum Innersten, zum Unbekannten zu kommen. Erst wer dieses Risiko eingeht, wird überhaupt in der Lage sein zu sehen, dass es außerhalb seiner selbst niemanden gibt, der ihn zurückweist, niemanden gibt, der ihn hinausstößt. Ich kenne diese Ängste, die sehr real wirken, die Ängste, den Platz verlassen zu müssen, Ängste, aus der Gemeinschaft ausgestoßen zu werden, Ängste, aus der Schule rausgeworfen zu werden, Ängste, vom Lehrer zurückgewiesen zu werden und ähnliches.
All diese Ängste begleiten Menschen über lange Zeit des Weges. So lange, wie sie nicht wirklich bereit sind, das Risiko einzugehen, eine direkte Erfahrung zu machen, ob es wahr ist, was in diesem Jesuswort gesprochen und geschrieben steht. Ob es wahr ist, dass es außerhalb ihrer selbst niemanden gibt, der sie hinausstößt. Wenn sie die Erfahrung machen, immer wieder hinausgestoßen zu werden, ist das Ausdruck davon, dass sie entweder nicht ganz hier sind, mit einem Bein immer woanders sind und sie sich selbst immer wieder aus dieser inneren, intimen Beziehung mit dem Sein, mit dem Selbst, mit sich selbst, mit allem hinausbefördern. Und weil sie sich selbst immer wieder hinausstoßen, verlieren sie sich manchmal zudem noch in Anklagen, in Vorwürfen, einhergehend mit emotionaler Bitterkeit, mit Schmerz und all dem, was Leiden ausmacht.
Unzweifelhafte Erfahrung
Wer einmal unzweifelhaft die Erfahrung macht, dass es außerhalb seiner selbst auf diesem Weg niemanden gibt, der ihn hinausstoßen kann oder hinausstoßen wird – der ist fähig, sich tiefer zu entspannen. Die Naivität, die Unwahrhaftigkeit steht zunächst im Wege, diesen Kräften ins Auge zu sehen, mit denen ich mich selbst hinausstoße. Sie sagt dann: „aber ich will doch, aber ich möchte doch, aber ich wünsche mir doch“ und so weiter. Die Naivität sieht noch nicht, dass diese innere Welt nicht ganz so einfältig ist, wie sie glaubt, sie ist im wahrsten Sinne dieser Begrifflichkeit mindestens zweifältig und das kommt zum Ausdruck in dem, was ich die Gegenkräfte nannte und diesen Gegenkräften begegnen wir, wie ich sagte, mit zunehmender innerer Achtsamkeit, was uns ermöglicht, dann wieder auf den direkten Weg zurückzukehren.